Liebe Gemeindeglieder,
hier schicke ich Ihnen einen kleinen Gruß –
denen, die in normalen Zeiten dann und wann den Weg zur Kirche suchen,
denen, die aus dem Evangelium von Jesus Christus Kraft zum Leben schöpfen wollen,
denen, die der Friedenskirchengemeinde verbunden sind.
Im Folgenden finden Sie ein paar Gedanken zum morgigen Sonntag, die Sie vielleicht in Ihrer persönlichen Andacht inspirieren können.
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit. Bleiben Sie behütet!
Und bis wir uns wiedersehen, halte Gott dich fest in seiner Hand! (EG+ 37)
Liebe Grüße
Birgit Reyher
Der Palmsonntag eröffnet die Karwoche.
Im Evangelium des Tages lesen wir, wie die Menschen in Jerusalem einen triumphalen Einzug für Jesus bereiten, mit Palmzweigen und Hosianna-Rufen: Joh 12, 12-19
Von diesem Geschehen hat der Sonntag seinen Namen.
Im Psalm Ps 69,2-4.8-10.14.21b klingen die zahlreichen Facetten menschlichen Leidens an, die Epistel Phil 2,5-11erinnert an die Leidensgeschichte Christi.
Das Wochenlied „Herr, lehre mich, dein Leiden zu bedenken“ (EG 91) nimmt mich hinein in die Mediation über das Leiden Jesu am Kreuz und die damit verbundene heilschaffende Wirkung. Eine Kraft zum Leben ist hier schon angelegt.
Gedanken zum Sonntag:
Palmarum – Palmsonntag- so heißt dieser Sonntag. Ein weiterer in der Reihe, an dem die Türen unserer Friedenskirche geschlossen bleiben.
Und doch machen wir uns auf den Weg. Hin zu dem großen Fest. So – wie die Menschen damals auch.
Die Wallfahrt nach Jerusalem ist geprägt von dem Jubel, von der Freude, die die Menschen erfüllt hat; wir spüren die Begeisterung. Die Kinder springen fröhlich hin und her, die Erwachsenen schwatzen und lachen: die Vorfreude ist mit Händen zu greifen, die Erwartung groß.
Und man ist sich sicher, was kommt – ja, was kommen soll.
Denn die Erinnerung an vorangegangene Jahre prägt die Erwartung heute.
Wir kennen das auch:
Mit dem heutigen Sonntag beginnt die Vorbereitung auf das große Fest. Viele Traditionen haben sich herausgebildet, die den Weg beschreiben, das Voranschreiten begleiten, die Gedanken beeinflussen. Und wie so oft ist auch hier die Erwartung von der Erinnerung geprägt.
Bei unseren katholischen Schwestern und Brüdern ist der Palmsonntag mit der Sitte der Segnung von kleinen Zweigen verbunden. Kleine Buchsbaumabschnitte erinnern an das, was in Jerusalem damals geschah und wovon die Evangelien berichten.
Die Menschen können mit ihren Händen nach den Zeichen der Zuwendung und der (Lebens-)Freude greifen; sie weitergeben, sich beschenken lassen.
Ich merke, dass mir da etwas fehlt in meiner nüchternen evangelischen Tradition.
Ich spüre, wie gut es mir täte, wenn ich etwas in der Hand hätte, was mich begleitet, wenn ich mich dem Fest nähere, das ich erwarte.
Vielleicht ist das in diesem Jahr besonders ausgeprägt.
Ein Weg tut sich auf, den wir kennen – und doch nicht kennen. Wir gehen auf Ostern zu, und die Erinnerungen an vorangegangene Jahre und Feste bestimmen unsere Gedanken. Aber wir wissen auch, dass diese Erinnerung keine Erwartung hervorbringt.
Es wird Ostern werden – ja – davon können wir (noch) ausgehen.
Aber wie wird es sein in einer Zeit, die vieles von dem in Frage stellt, was unser Leben bestimmt hat, was normal und wichtig und sicher war?
Wie wird es sein, wenn es kein gemeinsames Gedenken an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern geben wird am Vorabend der Kreuzigung.
Wie wird es sein, wenn die Erinnerung an den Tod Jesu nicht mit der Feier des Abendmahls in großer Gemeinschaft verbunden ist?
Wie wird es sein, wenn der Gang zum Friedhof, zum Grab am Ostermorgen nicht einmündet in die gemeinschaftliche Feier der Auferstehung und das fröhliche Miteinander beim Osterfrühstück?
Mir fällt ein Buchtitel von Andrea Schwarz ein. Die katholische Sozialpädagogin, Seelsorgerin und Schriftstellerin bringt es auf den Punkt: Eigentlich ist Ostern ganz anders.
In einem ihrer Hoffnungstexte spricht sie davon, wie Pläne durchkreuzt und Höhenflüge jäh gestoppt werden, wie Euphorie in Ernüchterung endet.
Wenn ich so lese, muss ich an das denken, was wir zur Zeit gerade erfahren: das gesellschaftliche Leben wird nahezu angehalten, die Wirtschaft fährt ungebremst gegen Null, selbstverständliche Verhaltensweisen werden in Frage gestellt, und niemand weiß mehr, was angesagt ist.
Das sind Erfahrungen von heute, die denen von damals irgendwie ähnlich sind.
Wenige Tage vor dem großen Fest erlebten die Menschen, wie das, was sie kannten und erwarteten, plötzlich ins Gegenteil umschlug. Aus heller Freude wurde scharfe Anklage, was eben noch von Lebenslust geprägt war, mündet in Leid und Elend, das „Hosianna“ kippt um in das „Kreuzige ihn!“
Mit dem Palmsonntag fing es an.
Solche Erfahrungen sind wohl keinem von uns fremd.
Wo eben noch Dax-Gewinne und Kreuzfahrtträume unser Denken und Fühlen bestimmt haben, sind Angst und Unsicherheit eingezogen.
Und wo eben noch der Sektkorken geknallt hat, ist jetzt das leise Piepen der Beatmungsmaschine zu hören.
Das Leben ändert sich – von 100 auf Null? Vielleicht.
Ganz bestimmt aber von „so“ auf „anders“.
Wir machen uns auf den Weg – heute am Palmsonntag.
Hin zu einem Fest, das anders sein wird, als in den vergangenen Jahren; anders als unsere Vorstellungen und Wünsche, anders als alle Riten und Traditionen.
Wir werden verzichten müssen auf liebgewonnene Gewohnheiten, auf gemeinschaftliches Singen und Beten. Die Kirchentüren bleiben geschlossen, Gottesdienstfeiern geht nur allein. Das sind Erfahrungen, die weh tun; Erfahrungen, die nicht sein sollen.
Aber: – und da bin ich mir sicher – es wird ein Fest werden, mit dem wir das Leben wieder neu entdecken dürfen und das neue Leben geschenkt bekommen.
Vielleicht ist es an der Zeit, nachdenklich zu werden über das, was die Welt im Innersten zusammenhält –
wenn Äußerlichkeiten zerbrechen und vieles sich ändert in diesen Tagen, was dem „Gewohnheitstier Mensch“ den Boden unter den Füßen entzieht.
Manch einer verliert da nicht nur die Orientierung, sondern auch die liebgewonnenen Sicherheiten.
Und wenn alles fällt, was bleibt dann?
Was bleibt ist die Hoffnung, dass unser Gott auch da wieder Wege kennt und sieht, die unseren Augen noch verschlossen bleiben.
Was bleibt ist die Zuversicht, dass seine Güte kein Ende haben wird und unser aller Leben neu ausrichten kann.
Was bleibt ist die Wahrheit, die in dem Spruch dieser Woche steht. Im Johannesevangelium heißt es: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Was bleibt ist die Sprache von Gottes guter Schöpfung, die aus dem Nichts das Leben entstehen lässt. In diesen Tagen malt sie es uns wieder in vielen bunten Farben vor Augen: auch wenn alles zerfällt, wird Neues werden.
Mit einem kleinen grünen Zweig fängt es an,
einem Zweig, der von Zuwendung und Lebensfreude spricht.
Einen solchen Zweig möchte ich in der Hand halten – mich an ihm festhalten.
Und den Weg gehen – meinen Weg gehen – mit meinem Gott – durch Angst und Unsicherheit, durch Kummer und Leid,
getragen von dem Vertrauen, dass mir, dass uns
LEBEN geschenkt wird –
beim großen Fest.
Herr, unser Gott,
du siehst, wo wir stehen:
am Wegrand mit ängstlichem Blick und schuldbewussten Gesicht
oder mit dem Jubel derer auf der Zunge, die deine Botschaft gehört haben
vielleicht auch zwischen den Jüngern, die dir nachfolgen wollen und mitunter an sich selbst scheitern.
Der Weg zum Leben ist der Weg durch den Tod;
das lernen wir in diesen Tagen wieder neu.
Schuld und Jubel,
Glauben und Scheitern,
Angst und Dank
liegen dicht beieinander, liegen in uns.
Du, Gott, weißt, wie es um uns steht.
Du siehst uns, du siehst uns an.
Dein Blick ruht auf aus.
Lass es ein Blick der Gnade sein.
Amen